In den 1950ern ermittelt der amerikanische Psychologe Curt P. Richter die Rolle von Hoffnung im Überlebenskampf von Ratten. Heute ein Fall für eine Ethikkommission – damals mit beeindruckendem Ergebnis.
Heute hat mich ein Freund auf ein interessantes – wenn auch sehr grausames – Experiment aus den 50er Jahren aufmerksam gemacht. Zwar gehen einige Details zu den Experimenten bei meiner Recherche im Internet auseinander aber im Kern geht es um folgendes:
Beschreibung des ersten Experiments
Der US-amerikanische Psychologe und Verhaltensforscher Curt Paul Richter (* 20. Februar 1894 in Denver, Colorado, USA; † 21. Dezember 1988; seine Vorfahren stammten übrigens aus dem Königreich Sachsen) ließ ein dutzend domestizierter Ratten in kleinen wassergefüllten Behältern um ihr Leben schwimmen. Dabei starben die ersten drei der zwölf Ratten sehr schnell – es dauerte nur ca. zwei Minuten bis zum Ertrinken. Ganz anders die restlichen neun Ratten. Diese überlebten teils tagelang trotz der Strapazen.
Beschreibung des zweiten Experiments
Nun nahm Richter 34 wilde Ratten, die erst kürzlich gefangen wurden. Die Ratten waren wild, ungezähmt und aggressiv – der Psychologe erwartete, dass die Ratten eine lange Zeit um ihr Leben kämpfen würden. Stattdessen starben alle wilden Ratten innerhalb von wenigen Minuten.
Beschreibung des dritten Experiments
Curt Richter hatte nun eine Hypothese – dazu später mehr – und er veränderte das Experiment, um Indizien für seine Idee zu sammeln. An einer weiteren Rattenkohorte wurde das Experiment wiederholt. Wieder mussten Ratten um ihr Leben schwimmen. Diesmal jedoch wurden alle Ratten möglichst kurz vor ihrer Aufgabe gerettet. Die Ratten wurden versorgt, durften sich erholen, mussten dann aber wieder in das Becken zurück. Wie Richter erwartet hatte, schwammen diese Ratten allesamt „sehr lange“. Leider konnte ich keine genauere Angabe finden, wie lange – es waren wohl mehrere Tage! Ich entscheide mich außerdem dafür, dass diese Ratten nach vielen, vielen Stunden des Schwimmens gerettet wurden und zur Belohnung ihr sowieso kurzes Rattenleben gut versorgt zu einem natürlichen Ende führen durften. Man wird ja noch hoffen dürfen – und das ist ein gutes Stichwort.
Welche Rolle spielt die Hoffnung?
Für Richter war die Sache klar: Der entscheidende Unterschied zwischen den Ratten, die nur wenige Minuten lebten und denen, die viele Stunden aushielten war: Hoffnung.
Die wilden Ratten waren es gewöhnt zu kämpfen oder zu flüchten. Von beiden Möglichkeiten beraubt, gaben sie schnell auf. Bei den domestizierten war es unklar, was passiert. Die letzte Kohorte hatte nun eine gemeinsame Erfahrung: die der Hoffnung durch eine schützende Hand, die jederzeit kommen konnte, um sie zu retten. Sie wurden ja bereits einmal gerettet.
Zitat von Curt Richter: “the rats quickly learn that the situation is not actually hopeless – after elimination of hopelessness the rats do not die.” Auf Deutsch: „Die Ratten lernen, dass die Situation nicht hoffnungslos ist. Nachdem die Hoffnungslosigkeit entfernt wurde, starben die Ratten nicht mehr.„
Eine Ergänzung der Geschichte erzählt noch davon, wie Unterschiede am ursprünglichen Überlebenswillen von einem Assistenten abhing, der einige der Ratten sehr unwirsch behandelte, geradezu vor dem Experiment quälte. Diese Ratten gaben besonders schnell auf – Richters Vermutung: Sie hatten weniger Grund aus der Schwimmhölle zu entkommen – es wartete ja einfach eine andere Hölle auf sie. Der Disstress (=negativer Stress) zog sie hinab in den Tod.
Meine Einschätzung
Erstmal muss man anmerken, dass die Versuche nun über 60 Jahre zurückliegen – gleichzeitig waren sie so grausam, dass es zum Glück schwer wäre, sie heute zu wiederholen, auch wenn eine genauere Untersuchung auch mit dem Fokus auf der Falsifikation und den beteiligten Abläufen im Gehirn interessant wäre.
Außerdem muss man immer sehr vorsichtig sein, wenn man Experimente mit Ratten oder Mäusen auf den Menschen übertragen will (und darum geht es ja hier – oder wollte der/die geneigte Leser*in nur wissen, wie man Ratten länger zum Schwimmen bekommt?).
Zudem handelt es sich hier um eine Leben-und-Tod-Situation, der Menschen zum Glück sehr selten ausgesetzt sind. Jedoch ist das Ergebnis für sich schon höchst interessant – vor allem der extreme Unterschied von wenigen Minuten zu mehreren Tagen.
Erklärbar ist das m. E. nur dadurch, dass ein massiver Unterschied zwischen den beiden Situationen besteht. Wenn es praktisch keine Aussicht auf ein Überleben gibt – so könnte man argumentieren – dann ist ein Überlebenskampf unnötig und verschwendet nur Ressourcen, die an anderer Stelle (in dem Fall von anderen verwandten Tieren, die evtl. durch das Ableben einen Nutzen ziehen würden) besser genutzt werden könnten. Aber wenn es eine Aussicht auf Überleben gibt, dann lohnt es sich zu kämpfen. Alle Ressourcen können und werden diesem Zweck untergeordnet.
Es ist zumindest plausibel, dass in Menschen ähnliche Mechanismen am Werk sind. Ein Sprichwort lautet: „Wer ein WARUM zum Leben hat, der erträgt fast jedes WIE.“ Oder wie es auf dem Filmplakat eines der besten Filme aller Zeiten steht: „Hope can set you free.“ (Shawshank Redemption).
Quellen:
https://www.psychologytoday.com/us/blog/kidding-ourselves/201405/the-remarkable-power-hope
https://worldofwork.io/2019/07/drowning-rats-psychology-experiments/
https://www.welt.de/dossiers/wachstum2010/article6553438/Die-Motivation-ist-entscheidend.html